Graue Energie und Graue Emissionen: Bedeutung für nachhaltiges Handeln
06.11.2024
Graue Energie ist ein Begriff, der im Zusammenhang mit der nachhaltigen Transformation vieler Wirtschaftsbereiche immer häufiger anzutreffen ist. Graue Energie bezieht sich auf die Gesamtmenge an Energie, die bei der Herstellung, dem Transport, der Lagerung, dem Vertrieb und der Entsorgung eines Produkts oder einer Dienstleistung verbraucht wird. Anders als direkte Energie, die während der Nutzung eines Produkts verbraucht wird, ist graue Energie «versteckt» und für den Endverbraucher oft nicht erkennbar. In der Bauwirtschaft, einer bedeutenden Emittentin von klimaschädlichen Treibhausgasemissionen, spielt die graue Energie oder präziser, die grauen Emissionen eine wichtige Rolle.
Was ist graue Energie?
Graue Energie ist die Energie, die in einem Produkt oder einer Dienstleistung «eingebettet» ist und sich aus den Prozessen und Vorleistungen bei der Erstellung ergibt. Die graue Energie umfasst also alle Phasen der Wertschöpfungskette: den gesamten Energieaufwand für die Gewinnung von Rohstoffen, die Verarbeitung, den Transport, die Montage und sogar den Recyclingprozess, wenn das Produkt sein Lebensende erreicht.
Unterschieden wird die graue Energie von der Betriebsenergie, also die Energie, welche während der Nutzungsphase des Produkts oder der Dienstleistung verbraucht wird. Graue Energie, im Gegensatz zu grauen Emissionen, wird in Kilowattstunden oder Megajoule gemessen. Die Berücksichtigung der grauen Energie ist entscheidend für eine ganzheitliche Bewertung der Umweltauswirkungen eines Produkts. In der Bau- und Immobilienwirtschaft und in den ihnen vorgelagerten energieintensiven Industrien, wie der Stahl- oder Zementproduktion, stellt die graue Energie von Baustoffen einen erheblichen Anteil an der Gesamtenergie dar.
Was sind graue Emissionen?
Graue Energie und graue Emissionen sind eng miteinander verknüpft, aber nicht dasselbe. Im Gegensatz zur grauen Energie bezeichnen graue Emissionen hingegen die Menge an Treibhausgasen, wie CO₂, die bei der Bereitstellung dieser Energie freigesetzt werden. Sie werden in Einheiten wie Kilogramm CO₂-Äquivalent (CO₂-eq) gemessen, um die Umweltbelastung auszudrücken. Beide fallen aber nicht nur unterschiedlich aus, weil sie unterschiedliche Messgrössen und Einheiten haben.
Die Höhe der grauen Emissionen hängt stark von der Art der eingesetzten Energiequelle bzw. -erzeugung ab. Ist diese fossil, so führt das zu deutlich höheren CO₂-Emissionen als erneuerbare Energiequellen wie Wind oder Solar.
Auch die Effizienz der Produktionsprozesse beeinflusst die Höhe der Emissionen: Wenn Produktionsprozesse effizient gestaltet sind oder erneuerbare Energien genutzt werden, kann die graue Energie zwar hoch sein, die grauen Emissionen jedoch relativ niedrig. Diese Unterscheidung kommt nicht zuletzt in der Bauindustrie zum Tragen, weil die Herstellung der Baumaterialien unter Einsatz von fossilen Energieträgern erfolgt.
Graue Energie in verschiedenen Wirtschaftssektoren
Graue Energie ist in allen Wirtschaftssektoren zu unterschiedlichen Anteilen vorhanden. Nachfolgend werden einige Bereiche beleuchtet, in denen graue Energie eine Rolle spielt. Auf die Rolle der grauen Energie in der Bauwirtschaft gehen wir gesondert ein.
Graue Energie in der Textilindustrie
Der Herstellungsprozess von Textilien erfordert einen hohen Einsatz an Energie, insbesondere in den frühen Phasen der Rohstoffverarbeitung und der Produktion. In der Textilindustrie beispielsweise erzeugen sowohl der Anbau von Rohstoffen wie Baumwolle als auch die chemische Verarbeitung von synthetischen Fasern erhebliche Mengen an grauer Energie. Hinzu kommt der hohe Energieverbrauch für den Transport der Kleidungsstücke, die mehrheitlich in Asien gefertigten und nach Europa oder Nordamerika geliefert werden.
Graue Energie in Transport und Logistik
Transport und Logistik sind bedeutende Quellen von grauer Energie. Jeder Schritt entlang der Lieferkette eines Produkts – vom Rohstoffabbau über die Fertigung bis hin zur Lieferung an den Endverbraucher – erfordert Treibstoff, meist in Form fossiler Brennstoffe wie Benzin, Diesel, Schweröl oder Kerosin.
Graue Energie in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion
In der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion entsteht graue Energie vor allem durch den Einsatz von Maschinen und die Herstellung von Düngemitteln. Insbesondere Düngemittel erfordern erhebliche Mengen an Energie, die oft aus fossilen Brennstoffen stammt. Bei fertigen Produkten spielt die Verpackung und bei verderblichen Gütern auch deren Kühlung eine Rolle.
Graue Energie in IT und Elektronik
Smartphones enthalten viel graue Energie. Schon die Gewinnung der Rohstoffe wie seltene Erden, die bei der Herstellung von elektronischen Komponenten unverzichtbar sind, verbraucht grosse Mengen an Energie. Dazu kommt, dass viele elektronische Geräte eine kurze Lebensdauer haben und dadurch die graue Energie pro Nutzungseinheit steigt.
Graue Energie in der Bauwirtschaft
Die Bauwirtschaft ist einer der grössten Verbraucher von grauen Energien und, da diese aus fossilen Energieträgern gewonnen werden, auch grösste Verursacher von grauen Emissionen. Denn sowohl die Herstellung der Baumaterialien als auch die eigentlichen Bauprozesse sind energieintensiv. Gebäude bestehen aus einer Vielzahl von Materialien, deren Herstellung oft erhebliche Mengen an Energie erfordert.
Graue Energie in Materialien und Baustoffen
Baumaterialien gehören zu den energie- und emissionsintensivsten Materialien. Die Herstellung von Zement beispielsweise verursacht nicht nur erhebliche CO₂-Emissionen durch den Energieeinsatz, sondern auch durch den chemischen Prozess der Kalksteinverbrennung. Stahl, um einen anderen wichtigen Baustoff zu nennen, wird in Hochöfen hergestellt, die bei extrem hohen Temperaturen arbeiten und eine hohe Menge an fossiler Energie verbrauchen. Auch Dämmmaterialien und Kunststoffe, die zunehmend in modernen Gebäuden verwendet werden, tragen zu den grauen Emissionen bei.
Graue Energie bei Transport von Baumaterial und Montage von Bauwerken
Der Transport von Baumaterialien zu Baustellen ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für die graue Energie bzw. graue Emissionen im Bauwesen. Da Baumaterialien oft schwer und voluminös sind, erfordert ihr Transport einen hohen Energieaufwand. Auch die Montage auf der Baustelle, insbesondere bei komplexen Bauvorhaben, kann erhebliche Mengen an Energie verbrauchen, etwa durch den Einsatz von schweren Maschinen und Fahrzeugen.
Graue Energie in den Bauprozessen
Energieintensive Bauprozesse tragen erheblich zur grauen Energie bei. Dies umfasst nicht nur den Transport von Baumaterialien und den Einsatz von Maschinen und Geräten auf der Baustelle, sondern auch die Energie, die während der Planung und Organisation eines Bauprojekts aufgewendet wird.
Graue Energie bei der Sanierung und der Gebäudewartung
Auch nach der Errichtung eines Gebäudes spielt graue Energie eine Rolle. Die Wartung und Renovierung von Gebäuden erfordert weiterhin Energie, insbesondere bei älteren Bauwerken, die nicht nach modernen energetischen Standards errichtet wurden.
Wie lässt sich graue Energie berechnen?
Die Berechnung der grauen Energie erfordert eine Lebenszyklusanalyse (LCA, englisch: Life Cycle Assessment). Diese Methode bewertet die Energieflüsse über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Das beginnt bei der Rohstoffgewinnung, geht über Produktion und den Transport bis hin zur Entsorgung. Diese Berechnung basiert auf Daten aus Ökobilanzdatenbanken, die branchenspezifische Energieverbrauchsdaten liefern. Solche Ökobilanzdatenbanken enthalten Kennzahlen zur Bereitstellung von Energieträgern, zu Technologien zur Wärme- und Stromerzeugung, zu Herstellungsprozessen verschiedener Stoffe (Baumaterialien, Chemikalien, nachwachsende Rohstoffe etc.) ebenso wie Daten von Transportdienstleistungen mit verschiedenen Verkehrsträgern.
Beispiele für Ökobilanzdatenbanken sind ecoinvent, ein gemeinnütziger Anbieter mit Sitz in Zürich, ProBas, eine vom deutschen Umweltbundesamt und dem Internationalen Institut für Nachhaltigkeitsanalysen und -strategien betreute Plattform, oder die European Platform on Life Cycle Assessment (EPLCA).
Speziell auf die Bauwirtschaft ausgerichtete Ökobilanzdatenbanken sind IBU.data, welche vom Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU) in Deutschland betreut wird, und ÖKOBAUDAT, welche vom deutschen Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen betrieben wird.
Wie kann man graue Energie reduzieren?
Graue Energie ist die Energie, die bei der Herstellung von Produkten aufgewendet wird. Sie lässt sich einsparen, wenn im Fertigungsprozess auf Nachhaltigkeit geachtet wird.
Bei Gebäuden ist die Verwendung von nachhaltigen und energieeffizienten Baumaterialien vorteilhaft. So kann Holz im Vergleich zu Beton den Energiebedarf erheblich senken und zugleich CO2 speichern. Auch die Förderung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen, bei der Materialien am Ende ihres Lebenszyklus wiederverwendet oder recycelt werden, trägt zur Reduktion der grauen Energie bei.
Noch besser wäre es allerdings, insgesamt weniger zu bauen und bestehende Bauwerke nicht abzureissen, sondern zu sanieren. Dadurch bliebe die in dem Bauwerk bereits gespeicherte graue Energie erhalten und es würde beim Ersatzneubau keine neue graue Energie erzeugt werden.
Wenn die nötigen Investitionen auf Bau- oder Sanierungsprojekte mit dem grössten klimarelevanten Effekt konzentriert werden, können die Einsparungen an grauer Energie maximiert werden. Dafür ist es entscheidend, den Zusammenhang zwischen dem baulichen und energetischen Zustand zu kennen. Stratus, die Software für das strategische Immobilien-Portfolio-Management von Basler & Hofmann, kann diesen Zusammenhang sichtbar machen. Immobilieneigentümer erhalten dadurch Informationen, um graue Energie in ihrem Liegenschaftsportfolio zu reduzieren und graue Emissionen zu reduzieren.
Fazit: Bedeutung von grauer Energie und grauen Emissionen für nachhaltiges Handeln
Graue Energie umfasst die gesamte für die Erstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung anfallende bzw. versteckt enthaltene Erstellungsenergie. Je nach eingesetztem Energieträger fallen dabei mehr oder weniger graue Emissionen an.
Graue Energie und graue Emissionen sind also nicht dasselbe. Während graue Energie in Kilowattstunden oder Megajoule gemessen wird und den Energieeinsatz aufzeigt, werden graue Emissionen in Einheiten wie Kilogramm CO₂-Äquivalent (CO₂-eq) gemessen und zeigen die Emissionen. Graue Energien und graue Emissionen fallen in allen Wirtschaftsbereichen an, Ökobilanzdatenbanken helfen bei der Berechnung.
Wer graue Energie und graue Emissionen vermeiden will, achtet darauf, lokale Produkte zu kaufen, die kurze Transportwege haben und langlebig sind und unter Einsatz erneuerbarer Energien und emissionsarm hergestellt wurden. Das ist im Bausektor schwierig, denn die wichtigsten Baustoffe Zement, Stahl und Dämmstoffe benötigen viel fossile Energie. Im Bausektor kann aber viel graue Energie vermieden werden, wenn bestehende Gebäude nicht durch Neubauten ersetzt, sondern saniert werden. Wenn Sie wissen wollen, wie viele graue Emissionen Ihre Gebäude emittieren, kann Ihnen unser «Graue Emissionen-Screening» einen ersten Überblick geben. Kontaktieren Sie uns jederzeit unverbindlich.